Müde Knochen? Von wegen. DEADGUYs zweites Album „Near-Death Travel Services“ erscheint 30 Jahre nach dem Debüt „Fiaxation On A Coworker“ und steht dem legendären Debüt in Sachen Songwriting, Intensität und Frische in nichts nach. Fuck Yeah.
DEADGUY: Near-Death Travel ServicesDer Verfasser, zum Zeitpunkt dieser Zeilen 42 Jahre jung, lachte ein wenig, als er tags zuvor das Wort „Veroparung“, also „Ver-Opa-Rung“ aus dem Mund von Torsten Sträter hörte, in Bezug auf das untragbare Stereotyp des Damals-war-alles-besser und dass der übliche Cis-Mann früher oder später mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Entwicklungsschritt in diese Richtung machen wird. Den Verfasser selbst betrifft dies natürlich nicht! Ja, scheiße. Der Hochmut flog im hohen Bogen um die Ohren, als er dachte: „Metalcore war mal echt geil, Bands wie
DEADGUY gibt’s ja heute kaum noch.“ Aber ja, DEADGUY, deren Debütalbum „Fixation On A Coworker“ den Grundstein für das legte, mit dem BOTCH und
COALESCE den Mathcore erfanden, ist selten gut gealtert und steckt auch dieser Tage noch zum heiteren Mosh an. Dann – Achtung, wir begeben uns wieder in den Angry Old Man-Modus – zehn, fünfzehn gute Jahre für das Genre, dann gründeten sich
ESKIMO CALLBOY und
FALLING IN REVERSE, der Anfang vom Ende.
2021, ganze vierundzwanzig Jahre nach ihrem Ende, ließen sich DEADGUY von der Nostalgie der guten, alten Zeit anstecken, und brachten „Fixation On A Coworker“ auf die Bühne. Ob aus all dieser Sentimentalität brauchbare neue Musik entstehen kann, ist häufig fraglich und jegliche Skepsis lohnt. 30 Jahre nach „Fixation On A Coworker“ ein zweites Album, fast komplett in der damaligen Besetzung? Aber „Near-Death Travel Services“ lässt den Verfasser geradezu frohlocken.
Verf#*?te Scheiße, wie gut das tut, diese Songs zu hören?! DEADGUY mögen sich auf ihren Fotos präsentieren, wie abgeranzte Typen, den Allerwertesten nur schwer hochkriegend, der Abriss, den sie seit ihrer Reunion auf Bühnen der Neuzeit veranstalten ist aber kein Fiebertraum. Und wird in den ersten Sekunden des Openers „Kill Fee“ komprimiert.
Ob bei Reunions aus Sentimentalität brauchbare neue Musik entstehen kann? Wohl kaum. Zum Glück sind DEADGUY nicht sentimental, sondern – wie „Near-Death Travel Services“ zeigt – pissed a.f.
Ein markerschütternder Schrei von Tim Singer, gefolgt von dissonanten Riffs, auf die Drummer und Songwriter Dave Rosenberg hämmert, gleicht einem Jumpscare und bietet den maximalen Effekt. In weniger als drei Minuten liefert „Kill Fee“ alles, was DEADGUY ausmacht: Hardcore-Attitüde, thrashige Wut, als Würze etwas Komplexität und Verspieltheit und doch volle Direktheit. Nach diesem starken Einstieg gibt sich das New Jersey-Quintett keine Blöße und setzt in den meisten Songs einen etwas anderen Fokus: Bei „Barn Burner“, „Cheap Trick“ und „Knife Sharpener“ dominiert Hardcore, die Songs sind pissed a.f. und rasant und bieten dazu auch Momente der Heaviness. „New Best Friend“ beginnt mit NYC-Noiserock und drischt im weiteren Verlauf die Hörenden in Grund und Boden, hin zu einem düsteren Finale, à la
INTEGRITY und
BLOODLET.
Schwache Songs gibt es keine auf „Near-Death Travel Services“, und so manches Mal überrascht es, wie relevant und frisch dieser Sound, diese Riffs, diese Wut 2025 wirken kann. DEADGUY legen es nicht darauf an, technisch auszuufern, „The Forever People“ vergräbt die schrägen Momente unter einer Wall Of Sound, ohne an Heaviness einzubüßen. Dem gegenüber steht „War With Strangers“, dessen Noiserock-Auftakt mit verzerrtem Bass ironisierend simpel wirkt – aber genau damit etwas Auflockerung in das Album bringt. Solche Momente hat auch „The Alarmist“, das ebenfalls sehr zurückhaltend Dynamik einbaut. Am Ende wird es mit „Wax Princess“ und einem zynischen Sample, einem vorgetäuschten Fade-Out und einer angedeuteten Zugabe nochmal etwas eigenwilliger – und gibt damit schon einen Hinweis, dass nach Album Nummer zwei für DEADGUY noch nicht gänzlich Schluss sein könnte. Dass ironischerweise ein Song mit dem Titel „The Long Search For Perfect Timing“ nicht ganz mit dem Rest des Materials mithalten kann – zu zögerlich, zu wenig fokussiert – verzeiht man gerne, da die zehn anderen Stücke diesen Track locker auffangen.
Starke, abwechslungsreiche Songs, eine fokussiert und intensiv performende Band und eine passgenaue Produktion: DEADGUY leisten sich auf „Near-Death Travel Services“ keine Schwächen.
Standesgemäß erhält „Near-Death Travel Services“ eine Produktion von Steve Evetts, passgenau auf diesen Bastard aus Metal, Hardcore, Punk und Noiserock zugeschnitten, zeitlos und mit maximaler Durchschlagskraft, ohne Tricks und doppelten Boden. DEADGUY wirken hier weder auf jung getrimmt noch altersmilde oder -müde, sondern überführen ihre Qualitäten in das finstere Jahr 2025. Im Zentrum steht hier der Frontmann, der das Album auch visuell-ästhetisch prägt. Tim Singers Stimme klingt außerdem wie 1995, voller Wut, Volumen und Energie – passend zu den vor Frustration, Zynismus und Galgenhumor bis an den Rand angefüllten Lyrics. Dass Dave Rosenberg an den Drums eine ebenso brutale Performance bietet, ist ebenfalls beachtlich – entspanntes Grooven sieht anders aus.
Sollte es unklar geblieben sein, hier nochmal in aller Deutlichkeit: Diese Reunion hat der Himmel geschickt. DEADGUY nehmen den Faden genau da auf, wo sie ihn nach „Fixation On A Coworker“ – und nicht „Screaming With The Deadguy Quintet“! – verloren haben. Mit einer durch Mark und Bein gehenden Wut und Energie, einer beeindruckenden Performance aller Akteure und starkem Songwriting liefert „Near-Death Travel Services“ das Maximum, was man von diesem Album erwarten durfte. Und auch mal Props an
RELAPSE, die nach
IDLE HEIRS schon zum zweiten Mal in diesem Jahr zeigen, dass die alte Garde noch viel zu sagen hat und für Überraschungen gut ist. Wer frühen Metalcore und Mathcore liebt, erlebt hiermit einen zweiten Frühling.
Wertung: 10 von 11 Silberrücken
VÖ: 27. Juni 2025
Spielzeit: 36:31
Line-Up:
Crispy Corvino – Guitars, Backing Vocals
Dave Rosenberg – Drums
Keith Huckins – Guitars
Jim Baglino – Bass
Tim Singer – Lead Vocals
Label: Relapse Records
DEADGUY „Near-Death Travel Services“ Tracklist:
1.
Kill Fee (Video bei YouTube) 2. Barn Burner
3.
New Best Friend (Video bei YouTube) 4. Cheap Trick
5. The Forever People
6. War With Stranges
7.
Knife Sharpener (Video bei YouTube) 8. The Alarmist
9. The Long Search for Perfect Timing
10. All Stick & No Carrot
11. Wax Princess
Mehr im Netz:
https://www.deadguy.net/https://deadguy666.bandcamp.com/https://www.instagram.com/deadguyrocks/