ursprünglich veröffentlicht am 10. September 2016
(geschrieben von Christoph)
Wie passend. Meine ersten Zeilen für dieses Magazin sind die letzten Noten, die SWANS in dieser Inkarnation geschrieben haben. Und was für Noten das sind! Michael Gira ist das perfekte Beispiel für einen gealterten – nicht alten! – Mann, der noch eine Menge zu sagen hat. „My Father Will Guide Us A Rope To The Sky“, „The Seer“, „To Be Kind“ und nun „The Glowing Man“, jedes dieser Alben hat eine gewaltige Wirkung auf den Hörer, baut auf dem vorigen Werk auf und erzeugt eine ganz eigene Welt. SWANS sind nicht die alten Stammtischbrüder, die immer und immer über wieder den gleichen Kram lamentieren, sie entwickeln sich immer weiter. Es gäbe auch nach „The Glowing Man“ keinen Stillstand, aber Gira, Hahn, Westberg, Harris, Pravdica und Puleo haben sich dazu entschieden erstmal wieder zu ruhen, die Karten neu zu mischen, SWANS zu töten, was auch immer.
So ungewiss die Zukunft der SWANS jetzt ist, so ungewiss ist der Hörer vor jedem Album der New Yorker. Dieses Album wie eine verfluchte Schachtel Pralinen, Forest. „The Glowing Man“ ist über weite Strecken ein ruhiges Album, kann aber natürlich auch die Zähne zeigen. Es ist meditativ, es ist hypnotisch, es ist oft repetitiv bis hin zur Schmerzgrenze. Dabei ist es völlig egal, ob sich gerade ein subtiles Klangflickwerk aus ruhigen Gitarren, Glocken, Synthesizern, Becken und Gesängen an den musikalisch-erogenen Zonen des Hörers reibt, oder ob sich eine brutale Wand aus Gitarren, treibenden Rhythmen und pulsierenden Bassläufen mit irrsinniger Lautstärke wie ein Bohrer ins Gehirn des Rezipienten treibt. SWANS setzen mehr denn je auf Ausgewogenheit, zeigen sämtlichen Post Rock-Bands, wie man Dynamik richtig betreibt und schaffen es auch, trotz einer mehrmals biblischen Länge von knapp dreißig Minuten pro Song, nachvollziehbar zu bleiben.
„To Be Kind“ hatte einige überlebensgroße Nummern, „The Glowing Man“ schafft es nicht immer, das Erbe hierzu anzutreten. „Cloud Of Unknowing“ wirkt über längere Strecken leider etwas beliebig und markiert den Schwachpunkt des zweistündigen Doppelalbums. Doch „Franke M.“, der Titelsong, „The World Looks Red / The World Looks Black“ gelingt es mühelos den Hörer zu zermalmen, diese Stücke wachsen organisch durch ihre immer wiederkehrenden Wiederholungen und erzeugen Trancezustände beim Hörer. Das schafft auch der ruhige Opener „Cloud of Forgetting“, der anfangs so ruhig ist, dass er nervenzerfetztend spannend wirkt und gegen Ende in einer Supernova aus Klang und Licht explodiert. Das sind Soundwände, die niemals enden dürften. Doch SWANS lassen sich nicht aus dem Konzept bringen und wissen auch mit ihren wenigen kurzen Songs für Gänsehaut zu sorgen. In der ruhigen Semiakustiknummer „When Will I Return?“ überlassen SWANS Jennifer Gira gesanglich den Vortritt und ist unglaublich intensiv, da sie hiermit den Angriff eines Serienmörders zu verarbeiten, dem sie beinahe zum Opfer gefallen wäre.
Ob es wirklich „Finally, Peace“ für getriebene Geister wie Michael Gira gibt, sei dahin gestellt. „The Glowing Man“ endet aber de facto harmonisch und hinterlässt ein gespanntes Gefühl der Ruhe. SWANS schaffen es nicht ganz, die letzten beiden Alben in den Schatten zu stellen, aber „The Glowing Man“ ist ein visionäres, unglaublich starkes Album, das den Hörer zwei Stunden lang in die tiefsten Regionen seiner Seele trägt. Zart, brutal, einfach, kompliziert, organisch, allumfassend und monolithisch, so klingen die SWANS auf ihrem vielleicht letzten Album. Auf den Punkt gebracht: Michael Gira ist ein verdammtes Genie.
Listen:
https://swans.bandcamp.com/album/the-glowing-man#
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