John Baizley von Baroness im Interview zum Album "Stone"Mit John Baizley zu sprechen, gleicht einem Spaziergang in Höchstgeschwindigkeit. Immer wieder springt der Gitarrist und Sänger bei
Baroness und gefragte Cover-Künstler für Bands von
Kvelertak bis
Pig Destroyer mitten im Gespräch auf. Dann erläutert er Luftgitarre spielend seine Herangehensweise ans Riffing und unterstreicht vehement seine Aussagen und gedanklichen Suchbewegungen. Es mag die schöpferische Aufregung sein, die ihn packt, wenn er über das aktuelle Album
“Stone” spricht, so denkt man. Für Baizley aber liegt in der Bewegung die wahre Kraft der Ruhe. “Wie jeder Musiker dir bestätigen wird, hat sich in den Jahren des pandemiebedingten Stillstandes einiges aufgestaut. Nicht nur an kreativer Masse, sondern schlicht an Energie. Von Hundert auf Null herunterzufahren und nach Jahren des Tourens plötzlich zu Hause zu sitzen, war jedenfalls die Hölle. Das ist kein Leben für Menschen, deren Bestreben darin liegt, hinauszugehen und das, was sie machen, mit den Menschen zu teilen. In Kontakt zu gehen, im Austausch zu sein. Diese Isolation war eine Qual für mich und die gesamte Band.”

Baroness (Foto: Ebru Yildiz)
Umso ironischer, dass sich Baroness nach den bleiernen Corona-Jahren gleich wieder ins Exil begaben, um konzentriert an “Stone” zu arbeiten. Die aus Savannah in den US-Südstaaten stammende und mittlerweile in Brooklyn und Philadelphia ansässige Band mietete sich ein Ferienhaus im abgelegenen Örtchen Barryville im Bundesstaat New York an und zog für vier Wochen die Tür hinter sich zu. Ohne äußeren Einfluss eines Produzenten machten sich Baizley, Gitarristin Gina Gleason, Drummer Sebastian Thomson und Bassist Nick Jost ans Songwriting. Ein intensiver und reduzierter Prozess, den Baizley gleich aufnahm und vormischte. Autonomie um jeden Preis nach 20 Jahren Bandgeschichte? “Nein, darum ging es eigentlich gar nicht”, bekräftigt Baizley. “Wir haben in der Vergangenheit immer mit ganz wunderbaren Produzenten gearbeitet, die uns sehr nach vorne brachten, weil sie die Band verstanden und genau wussten, worum es uns ging. Und auch hier ist es ja keine komplette Eigenproduktion im strengen Sinne. Nachdem wir die Instrumentalspuren in der Hütte dort draußen eingespielt hatten, begaben wir uns in mein Studio und nahmen die Vocals auf und all die irren Overdubs, die wir so mögen. Danach gaben wir das Album in die Hände von Joe Barresi und Bob Ludwig für Mix und Mastering.” Trotzdem fühle sich das Album für die Band als ihr ganz eigenes Werk an, dass nicht nur den Charakter der Musik besonders herausschält, sondern auch als kollektive Erfahrung immens wertvoll sei.
Solide
Wer die Geschichte von Baroness studiert, stellt neben einer kraftvollen musikalischen und ästhetischen Präsenz, die wie aus Stein gemeißelt wirkt, nicht zuletzt viele Brüche zwischendurch fest. Besetzungswechsel und ein furchtbarer Unfall mit dem Tourvan 2012 in England plagten die Historie von Baroness, denen es so wichtig ist, immer sie selbst zu bleiben. Umso naheliegender ist die Vermutung, dass sich der Titel, der erstmals mit der bandeigenen Tradition bricht, Alben nach Farben zu benennen, auf die Konsolidierung der Besetzung bezieht. ” ‘Stone’ ist das erste Album, das wir in derselben Besetzung aufgenommen haben wie das davor”, sagt Baizley. “Das gab es noch nie. Was aber nicht heißt, dass wir uns als eine Art Massiv definieren. Und schon gar nicht heißt es, dass der Titel darauf anspielt. Ich mag es, immer offen zu bleiben in dem, was ich als Künstler anbiete, und versuche, das Plakative zu vermeiden. Natürlich wachsen wir immer fester zusammen, als Menschen und auch als Musiker. Nick und Sebastian sind nun bereits zehn Jahre in der Band, und Gina ist jetzt auch schon seit 2017 dabei. Diese gemeinsame Zeit und auch die Erfahrung der Pandemie, die wir mittels wöchentlicher Zoom-Meetings überbrückten, schweißte uns zusammen. Sind wir deswegen ein Stein? Ich hoffe mal nicht. Zumindest nicht in dem Sinn, dass wir starr und hart sind. Dazu ist es uns viel zu wichtig, bei allem Fokus beweglich zu bleiben. Auf jeden Fall aber sind wir anpassungsfähig.”
»Es mag etwas esoterisch klingen, aber wenn Gina, Nick, Seb und ich zusammenspielen, ist eine ganz eigene Kraft im Raum. Ein ganz eigener Klang, der sich um den Körper legt.« John Baizley
Baizley erzählt dies in ruhigen Worten, die er konterkariert, indem er aufspringt und demonstriert, wie Gleason und er an ihren Instrumenten interagieren. Es sei ein neues musikalisches Vokabular durch ihren Einstieg entstanden, das die Band langsam immer mehr für sich entdecke. Auch für Bassist Jost, der aus dem Jazz kommt, hat Baizley nichts als Lob über und betont nicht nur dessen Virtuosität, sondern vor allem das Gespür für Groove und die Verzahnung mit dem Schlagzeug. “Gina ist technisch so viel besser als ich, es ist fast lächerlich. Und Nick ist einfach unnormal! Er kann alles spielen, nimmt sich dabei aber immer im Dienst der Musik zurück und erschafft mit Sebastian genau das Fundament, das diese mitunter doch ziemlich abgedrehten Songs brauchen. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Alle unsere Line-ups bestanden aus großartigen Musikern. Aber dieser Verbund an Menschen hat eine Qualität entwickelt, die sich immer weiter herausschält. Besonders interessant finde ich daran auch, dass sich dies auch in der rein physischen Erlebbarkeit des Sounds manifestiert. Es mag etwas esoterisch klingen, aber wenn Gina, Nick, Seb und ich zusammenspielen, ist eine ganz eigene Kraft im Raum. Ein ganz eigener Klang, der sich um den Körper legt. Nicht zuletzt deshalb entstand die Idee, uns zurückzuziehen und diese Kraft sozusagen live aufzunehmen, zumindest was die Songgerüste angeht.”
Fluide
Die Entscheidung, so viel wie möglich selber in die Hand zu nehmen, erstreckt sich nicht nur auf die Aufnahmen. Auch das Video zu “Last Word” ist in bandeigener Produktion entstanden, unter der Federführung von Jost, der eine eigene Technik zur Animation entwickelt hat und sie hier zum Einsatz brachte. Eine Arbeit, die ihn einiges an Nerven kostete, so Baizley. Die Fäden in der Hand zu halten, bedeutet auch immer, das Potenzial des Scheiterns einzukalkulieren. Ein Scheitern, wofür man dann noch nicht einmal die Verantwortung abgeben kann. “Im Grunde spiegelt es doch wider, was es bedeutet, sich für ein Leben als Künstler zu entscheiden”, erzählt Baizley. “Wer die Kunst wählt, tut es im Wissen, dass darin das Leben im Prekariat quasi eingepreist ist. Nichts ist sicher, außer der Wille, sich auszudrücken. Alles, was es zur Existenz in der Gesellschaft braucht, steht hingegen auf tönernen Füßen. Und selbst, wenn es gut läuft, kannst du dir nie gewiss sein, dass es so bleibt. Die Pandemie dürfte in dieser Hinsicht vielen die Augen geöffnet haben. Nicht nur, was die eigene Zerbrechlichkeit angeht – auch der Stellenwert, den Kunst und Musik in der Gesellschaft haben, wurde auf einmal sehr deutlich: Es gibt keinen.”
Das sei aber der Preis, den die Freiheit mit sich bringe, glaubt Baizley. Freiheit und Befreiung sind Begriffe, die er im Zusammenhang mit dem aktuellen Album immer wieder fallen lässt. Und wieder lässt sich ein Bruch feststellen. Denn bei Betrachtung der vorigen Tour unter dem Titel “Your Baroness”, bei der die Fans über die jeweilige Setlist abstimmen konnten, kommt der Gedanke an Freiheit auch einer gewissen Haltlosigkeit gleich. Abend für Abend das Set umstellen und alte Songs neu zu lernen, sei eine Herausforderung gewesen. “Das war eine verrückte Aktion”, sagt Baizley lachend und schüttelt fast ungläubig den Kopf. “Aber es verhalf uns auch, unsere Musik ganz neu zu erfahren. Es hilft natürlich, wenn man von begnadeten Musikern umgeben ist, die mühelos alles Mögliche lernen und es auch jederzeit abzurufen können. Ich muss alles immer ganz tief aus mir herausholen und merke mir Songs nicht unbedingt auf eine besonders herkömmliche Weise. Ich muss in die Musik hineingehen, doch die Musik ist zugleich in mir.”
Intim
Baroness zu hören heißt, sich den Emotionen zu stellen, die andere Menschen aufbereiten und in eine Sprache verpacken, die das eigene Empfinden so sehr auf den Punkt bringt, dass etwas aufbricht. Das ist natürlich die Prämisse eines jeden Musikstücks und sei es, um anzudocken und Verkäufe zu generieren. Feeling als Wertschöpfung, der Popsong als Barbie-Puppe und Burger zugleich, der Rock’n’Roll als Katharsis und Ausbruch – die Liste des Ausagierens und der massentauglichen Kommerzialisierung von Innerlichkeiten ist endlos. Baizley hingegen sieht die konsequente Versenkung in das, was ihn bewegt und aufwühlt, als etwas Lebenswichtiges. In seinen Texten, seiner Musik und auch in seiner bildnerischen Kunst gehe es vor allem um Emotionen. So nahe, wie die Band ihr Publikum an sich heranlässt und sich ihm öffnet – sei es, dass die Fans bestimmen, welche Songs gespielt werden, sei es, dass sich Baizley, Gleason, Jost und Thomson mit mit offenem Herzen in die Öffentlichkeit begeben und in ihrem Schaffen preisgeben, was man sonst lieber für sich behält –, so geheimnisvoll bleiben Baroness. Nicht nur die Albentitel, eigentlich alles an dieser Band lädt zu freien Interpretationen ein.

Baroness (Foto: Ebru Yildiz)
Musik als Kaleidoskop der Befindlichkeiten und Bedeutungen? Baizley überlegt, springt auf und wiegt sich Luftgitarre spielend vor und zurück. “Nichts, was einfach und konkret scheint, muss dies auch zwangsläufig sein”, ruft er und ahmt das Riff von
Nirvanas “Smells Like Teen Spirit” nach. “Nimm nur diesen Song. Alle kennen ihn, Millionen Menschen können ihn rückwärts mitpfeifen, und wahrscheinlich denkt sich jeder Gitarrenschüler, der mal drei Stunden Unterricht hatte, er könne dieses Riff in null Komma nichts lernen. Aber wenn du dich wirklich damit auseinandersetzt, entdeckst du rhythmische Besonderheiten, die so viel kniffliger sind, als sie wirken. Du begreifst, dass
Kurt Cobain ganz andere Akkorde spielt, als du zunächst geglaubt hast. Und vor allem kapierst du, dass sein Spiel und sein Sound nicht mal eben so aus dem Handgelenk geschüttelt sind. Allein, wie hier mit Verzerrung gearbeitet wird, mit dem reinen Klang, der entsteht, wenn alles außer Kontrolle zu geraten droht, erschafft etwas, das du nicht mal eben so nachspielen kannst. Du musst dich darin fallenlassen und dich dem ganz hingeben. Du musst auch vergessen, was du zu wissen glaubst. Natürlich ist es wichtig, zu verstehen, wie musikalische Bezüge funktionieren. Aber du darfst dich nicht zum Sklaven dessen machen. Oder nimm nur
AC/DC: Diese Riffs, die so schlicht klingen, entfalten ihre ganze Wirkung erst, wenn du erkennst, welche Saiten bei welchen Akkorden weggelassen werden, entgegen jeder Lehrbuchmeinung. Das ist Charakter, das ist Offenheit, das ist Freiheit.”
Dancefloor DrummerUnter dem Namen Publicist mischt Drummer Sebastian Thomson, der seine Karriere bei den Post-Rockern
Trans Am aus Washington D.C. begann, Rock, Electronica, Detroit Techno und House. Live setzt er es mithilfe eines mitten auf dem Dancefloor aufgebauten Schlagzeugs, Synthesizern und eines Vocoders um und kombiniert sein Livespiel mit Samples und Loops
Oder Befreiung von Tradiertem. Womit das Gespräch den Bogen zurück zum Ausgang schlägt. Zum Blick auf das, was man hat und ist und was man daraus machen kann. Etwas zurückgenommener, aber immer noch “on fire” erklärt Baizley, worin die Magie der Gitarren der
Rolling Stones besteht, nämlich in den offenen Gitarrenstimmungen von Keith Richards. Was das mit Baroness zu tun hat? “Die Seele liegt immer unter dem, was scheinbar offenbar ist. Unsere Artworks, unsere Texte, unsere manchmal doch sehr abgefahrenen Songs, die dir aber sofort zu sagen scheinen, wer wir sind und worum es uns geht – all dies ist unser Gesicht als Band. Und weil Musik eben eine besondere Kunst ist, die Inneres und Äußeres miteinander verzahnt, ist all das auch zugleich unsere Seele. Meinetwegen mag man es für pathetisch halten, aber ich denke, bei der Suche nach dem Menschsein und dem Verständnis dafür, was es eigentlich bedeutet, als denkendes, empfindsames, mit Bewusstsein versehenes Lebewesen zu existieren, gibt es kaum etwas Hilfreicheres, als die Kunst und vor allem die Musik. Sie ist so unmittelbar, dass man sich ihr nicht entziehen kann, es sei denn, man verschließt seine Sinne vor ihr. Was aber macht es mit einem Menschen, wenn er seiner Sinne beraubt ist? Was macht es mit dessen Leben?”
Es passt zu Baizley, zu dessen Bildsprache, zu dessen Texten und zum ganzen Phänomen Baroness, dass viele Antworten als Fragen formuliert sind, die noch mehr Fragen aufwerfen. Die Offenheit des Systems, die Einladung, die Kunst und Musik auch sein können – ja sein müssen, wollen sie nicht in der Beliebigkeit versanden –,
die Beständigkeit und die Formbarkeit des Steins, der ihrem Album den Titel gibt: Baroness sind all dies, und doch sind sie vor allem sie selbst. Heute mehr denn je.
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